Warum deine Familie anders tickt, wenn ein Business mit am Tisch sitzt. Entdecke, wie Unternehmerfamilien täglich zwischen Bindungslogik und Entscheidungslogik jonglieren – und warum das völlig okay ist und trotzdem anstrengend ist.  

Inhaltsverzeichnis:

In diesem Artikel erfährst du:

  1. Warum in 91% aller deutschen Unternehmen zwei verschiedene Welten aufeinanderprallen
  2. Wie deine Unternehmerfamilie täglich zwischen Bindungslogik und Entscheidungslogik jongliert
  3. Warum das Unternehmen wie ein unsichtbares Familienmitglied immer präsent ist
  4. Welche versteckten Botschaften und heimlichen „Kontoführungen“ eure Kommunikation belasten

TL;DR (Too Long; Didn’t Read):

In deiner Unternehmerfamilie leben zwei Welten unter einem Dach: Die Familie funktioniert nach der Bindungslogik (du gehörst dazu, egal was passiert), das Unternehmen nach der Entscheidungslogik (Leistung zählt). Diese beiden Systeme kollidieren täglich – beim Abendessen, im Urlaub, bei jeder Entscheidung.

Das Unternehmen ist wie ein unsichtbares Familienmitglied, das immer dabei ist – mal als forderndes Baby, mal als Angstmonster, bestenfalls als geliebtes Haustier. Dazu kommt: Jeder führt eine heimliche Buchhaltung über Opfer, Leistungen und Harmoniebeiträge. Die Kommunikation läuft auf mehreren Ebenen gleichzeitig – kein Wunder, dass ihr oft aneinander vorbeiredet.

In deiner Unternehmerfamilie gelten zwei Regelwerke gleichzeitig

Du lebst in einer Unternehmerfamilie? Dann kennst du das: Beim Abendessen diskutiert ihr gleichzeitig über Lenas Schulnoten und die Quartalszhlen. Der Sonntagsausflug wird zur Strategiebesprechung. Und bei Omas Geburtstag geht’s nebenbei um die Nachfolgeplanung.

Glückwunsch – du gehörst zu den 91% aller deutschen Unternehmen, die als Familienunternehmen geführt werden. Du bist also in bester Gesellschaft. Und du weißt: Bei euch ticken die Uhren anders.

Warum ist das so? In deiner Unternehmerfamilie leben zwei völlig unterschiedliche Logiken unter einem Dach:

Die Bindungslogik der Familie: Du gehörst dazu, weil du da bist. Punkt. Egal ob du gestern den Großauftrag vermasselt oder den Deal des Jahres gelandet hast – dein Platz am Familientisch ist dir sicher. Hier zählen Liebe, gemeinsame Geschichte und das unsichtbare Band zwischen euch.

Die Entscheidungslogik des Unternehmens: Hier musst du dir deinen Platz verdienen. Täglich. Leistung zählt, Zahlen sprechen Klartext, Emotionen sind Luxus. Wer nicht liefert, gefährdet das große Ganze.

Beide Logiken sind absolut berechtigt. Das Dilemma entsteht, wenn die beiden Seiten der Unternehmerfamilie zur gleichen Zeit am gleichen Ort aufeinandertreffen. Und das tun sie in deiner Unternehmerfamilie permanent, ohne die systemische Dynamik zu beachten.

Das tägliche Jonglieren: Wenn Mama zur Chefin wird (und zurück)

Stell dir vor: Deine Tochter kommt zu spät zur Arbeit. Was machst du? Als Mutter denkst du: „Sie hatte bestimmt einen schweren Morgen.“ Als Geschäftsführerin denkst du: „Das ist das dritte Mal diese Woche!“

Dieser Rollenwechsel passiert hundertmal am Tag. Oft innerhalb desselben Gesprächs. Eben noch hast du als liebevolle Mutter gesprochen, im nächsten Satz kommt die knallharte Unternehmerin durch. Deine Familie weiß nie genau, wer gerade spricht.

Ein Klassiker: Der Sohn möchte ins Unternehmen einsteigen.

Die Bindungslogik jubelt: „Endlich! Die Familie bleibt zusammen!“
Die Entscheidungslogik fragt: „Hat er die nötigen Qualifikationen?“

Oder andersrum: Die Tochter ist brillant ausgebildet und perfekt für die Nachfolge.

Die Entscheidungslogik sagt: „Sie ist die Beste!“
Die Bindungslogik mahnt: „Aber der Älteste sollte übernehmen, wie immer in unserer Familie.“

Die Kunst? Nicht eine Logik über die andere stellen. Sondern klar machen, welche gerade spricht. „Als deine Mutter bin ich stolz auf dich. Als Geschäftsführerin muss ich sagen…“ Das klingt komisch? Nur am Anfang. Später schafft es Klarheit für alle.

Der unsichtbare Mitbewohner: Wenn das Unternehmen zur Familie gehört

In deiner Unternehmerfamilie wohnt jemand, der nie Miete zahlt aber immer da ist: das Unternehmen selbst, das die Familie zusammenhält. Es sitzt beim Frühstück dabei, fährt mit in den Urlaub, liegt nachts zwischen dir und deinem Ehepartner.

Manchmal benimmt es sich wie ein forderndes Baby: „Ich! Sofort! Jetzt!“ Die Maschine ist kaputt? Familienausflug abgesagt. Wichtiger Kunde am Telefon? Geburtstagsfeier unterbrochen.

Manchmal wird es zum Angstmonster: die emotionale Belastung in der Unternehmerfamilie kann überwältigend sein. Liquiditätsprobleme, Konkurrenzdruck, Auftragsflaute. Die ganze Familie liegt nachts wach und macht sich Sorgen.

Im besten Fall ist es wie ein geliebtes Haustier: Alle kümmern sich drum, sind stolz drauf, es gehört einfach dazu. Aber auch das liebste Haustier will täglich versorgt werden.

Diese ständige Präsenz färbt auf jede Kommunikation ab. „Wie geht’s dir?“ ist nie nur eine simple Frage. Es schwingt immer mit: „Läuft’s im Geschäft?“ – „Packst du die Verantwortung?“ – „Brauchst du Hilfe?“

Der Unterschied zu anderen Familien? Bei denen ist um 18 Uhr Feierabend. Bei euch nicht. Das Unternehmen kennt keine Bürozeiten. Es ist Teil eurer DNA.

In der Podcastfolge spreche ich mit Claudia Hoffmann über den unsichtbaren Gast am Küchentisch in Unternehmerfamilien. 

Die heimliche Buchhaltung in jeder Unternehmerfamilie

In deiner Unternehmerfamilie führt jeder eine unsichtbare Buchhaltung. Nicht nur über Geld, sondern über alles:

Das Harmoniekonto: Wer trägt wie viel zum Familienfrieden bei? Die Tochter, die nie widerspricht, sammelt Pluspunkte. Der Sohn, der unbequeme Wahrheiten ausspricht, rutscht ins Minus. Aber Achtung: Irgendwann platzt auch der Geduldigste.

Das Opferkonto: „Ich hab meine Karriere aufgegeben!“ – „Ich arbeite seit Jahren ohne Urlaub!“ – „Ich wollte eigentlich studieren!“ Jeder rechnet auf, was er fürs Unternehmen geopfert hat. Und wartet darauf, dass es gewürdigt wird.

Das Leistungskonto: Überstunden, geniale Ideen, gerettete Aufträge – alles wird mental verbucht. Das Problem: Jeder hat eine andere Währung. Für Papa zählen Umsätze. Für Mama die Mitarbeiterzufriedenheit. Für die Kids ihre Social-Media-Reichweite.

Diese Konten brodeln unter der Oberfläche. Sie beeinflussen jede Entscheidung, jede Diskussion. „Warum darf sie und ich nicht?“ – „Keiner sieht, was ich leiste!“ – „Ich komme immer zu kurz!“

Die Botschaften werden verschlüsselt: Wenn Papa sagt „Die Zahlen könnten besser sein“, hört jeder etwas anderes:

  • Mama hört: „Wir müssen sparen“
  • Sohn hört: „Du bist schuld“
  • Tochter hört: „Mehr arbeiten!“
  • Papa meinte nur: „Interessante Marktentwicklung“

Kein Wunder, dass ihr manchmal aneinander vorbeiredet.

Der Weg zu mehr Klarheit: So meisterst du beide Welten

Deine Unternehmerfamilie ist kein Problem. Sie ist ein komplexes System mit eigenen Regeln. Hier dein Fahrplan für mehr Balance:

  1. Eine klare Familienstrategie kann helfen, die Herausforderungen zu meistern. Mach die Logiken sichtbar:
    Sag klar, aus welcher Rolle du sprichst. „Als Geschäftsführerin muss ich…“ oder „Als dein Vater möchte ich…“. Ja, das klingt erstmal steif. Aber es schafft Klarheit und verhindert Missverständnisse.
  2. Schaff sichere Räume:

Businessfreie Zonen (Schlafzimmer, Sonntagmorgen)
Familienfreie Meetings (da zählen nur Zahlen)
Neutrale Orte für schwierige Gespräche

  1. Leg die Konten offen:
    Redet über die unsichtbare Buchhaltung. Wer fühlt sich in der Unternehmerfamilie ungesehen und emotional ausgeschlossen? Überfordert? Zu kurz gekommen? Das ist unangenehm wie eine Wurzelbehandlung, aber genauso notwendig.
  2. Holt euch Unterstützung:
    Eine externe Moderation für Familienkonferenzen ist keine Schwäche. Es ist professionell. Ihr würdet ja auch nicht selbst eure Steuererklärung machen, wenn’s kompliziert wird.
  3. Feiert beide Seiten:
    Die Familienseite macht euch leidenschaftlich und loyal. Die Businessseite macht euch erfolgreich und zukunftsfähig. Beides gehört zu euch. Beides ist wertvoll.

Der größte Fehler? Zu glauben, ihr müsstet wie eine „normale“ Familie funktionieren. Müsst ihr nicht! Ihr seid eine Unternehmerfamilie. Das ist anstrengender, aber auch kraftvoller.

Wenn diese zwei Logiken nicht gegeneinander kämpfen, sondern miteinander tanzen, entsteht etwas Einzigartiges: Ein Unternehmen mit Seele und eine Familie mit gemeinsamer Mission.

Dein erster Schritt: Sprich heute Abend beim Essen das Thema an: „Mir ist aufgefallen, dass wir ständig zwischen Familie und Firma hin und her switchen. Wie geht’s euch damit?“ Und dann hört zu. Wirklich zu.

Die Unternehmerfamilie mit ihren zwei Logiken unter einem Dach ist wie ein Hochseilakt. Aber mit etwas Coaching und Übung wird daraus eine elegante Choreografie der Zusammenarbeit. Und das Netz darunter? Das seid ihr füreinander.